Was genau ist eine Multivision?

Eine Form der Bühnenkunst

Eine (Dia-)Multivision ist eine mediale Gestaltungsform auf der Grundlage von Standbildern. Präsentiert wird sie als Bühnenkunst in Sälen ganz unterschiedlicher Größe. Handelt es sich um analog fotografierte und projizierte Dias, spricht man von einer Dia-Multivision, während eine digitale Produktion nur als Multivision bezeichnet wird. Die Inhalte und die Gestaltung von Multivisionen sind ebenso vielfältig, wie die Menschen, die sich dieser Ausdrucksform bedienen. Das Spektrum reicht von reiseführerartigen Präsentationen, denen sich die Touristikwirtschaft zu Werbezwecken bedient, über Abenteuerberichte zu spannenden, fundierten, journalistischen Innenansichten anderer Kulturen und künstlerischen Reflektionen ferner Länder.

Eine Synergie aus Bildern mit Musik, Originaltönen und Livekommentar

Je nach Autor gibt es erhebliche Unterschiede im Einsatz der formalen Ausdrucksmittel. Den meisten Produktionen gemeinsam ist, das der Autor selbst live auf der Bühne zum Zentrum seiner Medienkollage wird. Im Idealfall verschmelzen die Bausteine aus Bild, Text und Musik zu einer Einheit, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Am Beispiel des Bildes lässt sich das am einfachsten verdeutlichen: Die Projektion eines außergewöhnlich großen, scharfen und brillanten Einzelbildes bildet oft das Rückgrat einer Produktion. Beim Übergang von einem Bild zum nächsten fließen die Bilder sanft ineinander. Durch die geschickte Kombination verschiedener Bildelemente aus ganz unterschiedlichen Bildern entsteht ein drittes, ein flüchtiges Bild, das in seinem Fluss mehr aussagt, als die beiden Einzelbilder nebeneinander - Synergie.

Aber Multivision ist noch mehr. Sie umfasst eine Komposition aus den Bausteinen Bild, Text und Musik. Ein Bild erscheint brillant auf einer großen Leinwand, der Autor beginnt von der Bühne herab seine Geschichte zu erzählen. Von Zeit zu Zeit erklingt Musik und verdichtet, untermalt oder pointiert die Geschichten oder die animierten Bilderfahrten des Referenten.

Frei von den festen Sehgewohnheiten des Fernsehens

Anders als bei den meisten anderen Medien, vor allem dem Fernsehen, gibt es bei Multivisionen weniger fest eingeschliffene Sehgewohnheiten, die der Autor bedienen muss und die dadurch die Gestaltungsmöglichkeiten beschränken. Ähnlich wie moderne Musik-Videoclips brechen Multivisionen die festen Bahnen der Sehgewohnheiten auf. Anders als Videoclips gehen sie aber nicht den Weg der Beschleunigung, sondern entdecken im Gegenteil den Weg der Langsamkeit und Ruhe wieder neu. Der künstlerischen Kreativität sind bei der Kombination der Medien kaum Grenzen gesetzt – nur die Kreativität des Autors selbst begrenzt die Möglichkeiten. Im Idealfall werden durch die Kollage verschiedener Medien – zu denen neuerdings durch den Einsatz der Digitaltechnik auch Filmsequenzen gehören können – neue und ungewohnte Sichtweisen auf den Gegenstand der Multivision eröffnet. Das Fernsehen hat einen überraschend kleinen Kanon fester Sehgewohnheiten und Sichtweisen etabliert – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Bildgestaltung, Perspektive und Aussage schöpfen im Fernsehen aus dem immer gleichen, kleinen Teil des weiten Feldes der Möglichkeiten. Die Multivision sprengt diese Grenzen sowohl formal wie inhaltlich – nicht zuletzt durch die persönliche Anwesenheit des Autors, die zur Interaktion mit dem Publikum einlädt und eine besondere Aura der Authentizität erzeugt.

Zu den herausragenden Merkmalen der Multivision gehört ihre ruhige Bildsprache. Sie gibt dem Betrachter Zeit und Raum für eigene Gedanken und spricht ihn auf der emotionalen Ebene an. Die oft unmerklichen Wechsel auf der Leinwand regen die Phantasie an und machen jeden einzelnen Besucher zu einem Teil der Geschichte. Möglicherweise ist es diese Freiheit, welche die Multivision in den Augen ihrer Liebhaber auf eine Stufe stellt mit den (anderen) (anerkannten) Formen der Bühnenkunst.

(Text von Matthias Möldner und Klaus-Peter Kappest)